Mittwoch, 21. Mai 2014


Memento mori


Neun Sonette über das Mittelalter



von  Rolf-Peter Wille



1.  Der Pilgerzug

2.  Die Kathedrale

3.  Der Ketzer

4.  Sonnengesang

5.  Nur Du, oh Herrin

6.  Memento mori

7.  Der Rattenfänger

8.  Der Schnitter

9.  Ruiniert






                        1. Der Pilgerzug


Es brennt! Es brennt im Schweife des Kometen.
Ein Widerschein umhüllt die Nebensonnen.
Der Himmel weint. Blut schwitzen die Madonnen,
und Unheil künden Sterne und Planeten.

Tut Buße nun! Schon schmettern die Trompeten
zur Pilgerfahrt, zum Aufbruch der Kolonnen.
Bald haben wir Jerusalem gewonnen.
Ihr Knaben, folgt dem Rufe des Propheten!

Mit Ehrfurcht sieht man vor dem heilgen Grabe
den edlen Eremiten sich vertiefen.
Gerettet hat ihn seine Sehergabe.

Doch andre sind verschollen. Tränen triefen.
Geflüstert wird, es sei manch frommer Knabe
ein Sklave noch am Hofe des Kalifen.







                 2. Die Kathedrale


Noch glüht der Himmel rot im Feuerscheine.
Die Glocke schmolz, zersplittert sind die Sparren.
Wie trauernd ragen, Mahnmal des Bizarren,
vom Gotteshaus nurmehr die Trümmersteine.

Doch schau: Schon sieht man Fürsten und Gemeine,
die spannen sich wie Ochsen vor die Karren.
Sie tanzen, singen, die verzückten Narren,
und ziehn gewaltiges Gestein zum Schreine.

Dort strebt empor in kühnen Bogenrippen
der Kathedrale mächtiges Gewölbe.
Es recken sich die Säulenkapitelle.

Die Jungfrau blickt hinauf ins Lichte, Helle.
Wie glänzt ihr Strahlenkranz, der goldengelbe!
Und wonnig lächeln ihre Rosenlippen.






                       3. Der Ketzer


Ein Ei! Er fraß ein Ei anstatt zu fasten!
Karfreitag fraß er’s? — Ja! — Verbrennt den Ketzer!
Ein Monstrum ist der Mann, Verbotsverletzer!
Stets schriller schreit der Chor der Agelasten.

Hinaus! Ergreifet ihn! Und geifernd hasten
die Hetzer, Häscher, Henker, Messerwetzer:
Im Netze zappelt der Moralzersetzer,
gefangen und gefesselt und im Kasten.

Müd’ ist der Kardinal. Nun will er naschen.
Man reicht ihm Wein, der labet seine Kehle.
Die Nase lockt ein Duft gefüllter Taschen.

Und hoch im Schlote, dass er langsam schwele,
erglüht des Sünders Leib, verbrennt zu Aschen.
Ach Herr, erbarme Dich der Ketzerseele!







                      4. Sonnengesang


Gelobet seist Du, Herr, durch Bruder Sonne!
Er strahlt in großem Glanz aus hoher Ferne.
Die Schwester Mond, so kostbar, und die Sterne,
sie leuchten als Dein Wort und meine Wonne.

Gelobet seist Du, Herr, durch Mutter Erde,
die mich ernährt mit urgesunder Speise!
Dein Bruder Wind weht heiter mir und leise.
Gib, Schwester Wasser, dass ich reiner werde!

Und wenn die Krankheit meinen Leib benetzet,
gib, Herr, dass ich in Drangsal Liebe übe,
dass ich verzeihe, wo man mich verletzet!

Dich, Herr, zu preisen, sei mein einzig Streben,
dass mich des Leibes Sterben nicht betrübe
und ich erwache, einst, zum ew’gen Leben.








               5. Nur Du, oh Herrin


Nur Du, oh Herrin, bist mein einzig Streben.
Nur Deiner will ich immerdar gedenken!
Stets Dir mein Herz, Dir meinen Mund zu schenken,
stets Dich zu ehren, sei mein Sinn, mein Leben!

Auf steigt mein Glück wie Tauben sich erheben,
spür ich Dein Auge sich in meines senken.
Willst Du Dein Lächeln, Englische, mir schenken,
soll ich auf Erden schon im Himmel schweben.

Lass mich, oh Herrin, ewig Dich besingen,
den Liebreiz Deiner Lippen, Deiner Wangen,
ihr wundersames Spiel in Verse zwingen!

Hab’ ich die Seele im Sonett gefangen,
bringt meine Sangeskunst sie zum Erklingen,
so werden wir Unsterblichkeit erlangen!






                       6. Memento mori


Den Greis packt das Grausen, der Ritter verzagt.
Sie zittern wie faules Gerippe.
Zwar wehrt sich verzweifelt die sittliche Magd —
der Sensenmann küsst ihre Lippe.

Doch nachts auf dem Kirchhof, da sei es gewagt
bei jauchzendem Knochengewippe.
Sie schaukeln die Schenkel. Doch wenn es getagt,
entschwindet die lustige Sippe.

Drum wandele heiter, und nur nicht geklagt!
Bald schiebt dich Freund Hein auf die Schippe.
Und wenn Dich die Zeit mit den Zähnchen benagt,
dann wirft er dich flink auf die Kippe.

Ich bin der Tod, dein A priori:
Vergiss mich nicht — Memento  mori!






                 7. Der Rattenfänger


Die Mäuse sind ersäuft. Nun fängt er Kinder.
Geprellt, getäuscht bei seiner Rattenhatz
macht er heut Rachejagd auf Hamelns Schatz,
auf Mägdlein, Knaben. Arger Ratzenschinder!

Herbei, herbei! Wie kess der pfeifen kann!
Verschmitzter Schalk, wie wippt sein roter Hut
im Wind so wunderlich! Mit frohem Mut
umjauchzen sie den feschen Jägersmann.

Die Alten aber bangen nachts und wachen
in dunklem Ahnen. Andre woll’n ihn fassen.
Auf rauscht die Klage weher Jammerweisen.

Ach Hameln, arme Stadt, man stahl dein Lachen!
Ein schwarzer Rabe gleitet durch die Gassen
und leeres Murmeln wie von Mümmelgreisen.







                     8. Der Schnitter


Verlassen steht im Feld die Vogelscheuche.
Die Lumpen sind zerzaust, der Hut verloren.
Ein schwarzer Falter tanzt um ihre Ohren
im Flatterreigen alter Trauerbräuche.

Tot liegt die Stadt nach einer faulen Seuche.
Die Menschen sind wie Gras hinweggeschoren.
Noch schwelen ihre Leichen vor den Toren,
die Leiber aufgedunsen, schwarz die Bäuche.

Hoch auf der Löwenburg im Kreis der Ritter
hebt der berauschte König seinen Becher:
"Wir haben ihn gebannt, den alten Schnitter!"

Da! Zähneknirschen! Ein zerlumpter Zecher.
Er reckt sich auf — Entsetzen und Gezitter:
Dort grinst die Todesfratz’ — der grause Rächer!






                      9. Ruiniert


.... raget aus dem Maul der hohle .....
.................. nurmehr verwitterte Ruine.
Noch kühn ...... beschatten .......... Miene.
…… zerfallen ...................... eitel Wahn.

......... wo einst die stolzen .........……
..... heut den .....………. ihrer Lanzen.
..................………. zu verschanzen
........ zeugen ............ rauhen Sitten.

Indes ....... sprachlos ... ringen ihre Hände.
..................…….. Barden lamentieren
....... weh! .............…. nie sanieren.

...........................……….… ausgehaucht.
………. ist müde, abgewrackt, verbraucht.
.......................…….…………. Ende.



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